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Channel: Les Paul – GITARRE & BASS
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Parts Lounge: Klangmalereien

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Mit „Dr.Nitro“ alias Alexey Dovnar bei Guitarpoint

Das dritte und letzte Beispiel aus meiner kleinen Serie über Quereinsteiger zum Gitarrenbau nimmt eine ganz besondere Stellung ein. Für mich selbst allein schon deshalb, weil sich der Protagonist einem Thema widmet, das mich in diesem Jahr ganz besonders interessiert. Die Rede ist von Alexey Dovnar, einem Künstler aus Minsk, der Hauptstadt von Belarus.

Schon seit ein paar Jahren verfolge ich seine wunderschön gemachten Videos auf YouTube rund um die Konstruktionsmerkmale alter Les-Paul-Modelle. Unter dem Namen ‚Dr.Nitro‘ gibt es dort eine ganze Serie zum Thema, das immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet wird. Mal geht es um das Holz, mal um die Lackierungen, die Pickups oder ganze Makeover-Maßnahmen, wie sie auch hierzulande einige Gitarrenbauer durchführen. Doch irgendwie geht Dovnar noch weiter in die Tiefe und scheint noch genauer hinzuschauen als mancher Mitbewerber.

Ausgerechnet in diesem Frühjahr, da hatte ich gerade drei alte originale Les Pauls hier zuhause, schrieb er mich an und fragte mich, ob ich mal seine PAF-Replika-Pickups probieren wollte. Zuerst war ich zurückhaltend: „Ach weißt du …“, schrieb ich ihm zunächst, „wir haben hier Kloppmann, Amber, Häussel und viele andere gute Pickup-Hersteller, die eigentlich unsere Bedürfnisse ausreichend abdecken.“ Er blieb aber hartnäckig und sagte mir, er wolle einfach mal wissen, wo er mit seinen Entwicklungen stehen würde.

Ich hätte doch sicher die Möglichkeit, seine Pickups mit alten Originalen zu vergleichen. Vor allem fehle es ihm in Belarus jedoch an entsprechenden Spielern, die die alten Les-Pauls-Sounds auch lieben und beherrschen. Später erfuhr ich, dass er auch Peter Weihe, Thomas Blug, Thomas Weilbier und Andreas Kloppmann kontaktiert hatte. Na gut, dachte ich, soll er eben mal ein Set schicken.

Und das kam prompt. Er nannte dieses Set „Goldie“, eine Art Interpretation eines 59er PAF-Sets mit etwas heißerer Abstimmung als sonst üblich. Diese Pickups hab ich dann in meiner Les Paul getestet und mochte sofort ihren auffällig rauen Charakter. Mmmhh, die klingen aber wirklich „alt“. Ganz überzeugt war ich aber noch nicht. Die Höhen waren etwas zu spitz und die Bässe meiner Meinung nach zu schlank. Dennoch gefiel mir die auffallend nette Art, in der er kommunizierte. Also haben wir telefoniert und uns ausgetauscht. Er erzählte mir von seinen Arbeitsbedingungen und der politischen Situation in seinem Heimatland. Ohne das näher auszuführen, kann man diese Bedingungen als äußerst schwierig beschreiben. Wie wir alle wissen, ist der Einfluss Russlands sehr stark, ein Revolutionsversuch vor ein paar Jahren ist gewaltsam beendet worden und seither das Land ein durch und durch autokratisches Regime.

Alexey Dovnar ist in Norddeutschland aufgewachsen, daher spricht er sehr gut deutsch. Irgendwann zog es die Familie jedoch zurück nach Minsk, wo sein Vater (und Großvater) bereits erfolgreich als Freskenmaler ihre Kunstfertigkeiten unter Beweis stellen durften. Alexey folgte den Begabungen seiner Familie, genau wie sein Bruder, und so wurden beide ebenfalls Maler, die überall in Europa vor allem Kirchen in alter Tradition ausmalen.

Alexey Dovnar bei der Freskenmalerei in einer Kirche

Das passt hervorragend zu den künstlerischen Tradtionen seiner Heimatstadt, die nur knapp weniger Kirchen besitzt als das Heilige Rom. Daher gibt es dort jede Menge Arbeit für die Dovnars. Aber Alexey verfolgte noch eine weitere Leidenschaft. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Geheimnisse der historischen Les-Paul-Konstruktionen bis ins letzte Detail zu entschlüsseln. Und das ging er durchaus wissenschaftlich an. Und dazu gehören nicht nur die Pickups, sondern auch die Holzkonstruktion beziehungsweise die genaue Beschaffenheit der alten Hölzer. Und im Laufe der Jahre hat er seine Ohren soweit geschult, dass er selbst feinste Unterschiede wahrnimmt. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig das von einem Standort wie dem seinen sein muss. Hierzulande bekommt man auch nur äußerst selten eine echte Burst zu Gehör, aber in Minsk …? Wer besitzt dort schon eine alte Les Paul? Also besuchte er auf seinen langen Europareisen Orte wie Guitarpoint in Frankfurt oder No.1 in Hamburg, um sich die Gitarren vor allem anzuhören.

Im Frühjahr war er beim Crossroads Festival in Hamburg und traf dort auf Andreas Kloppmann, Thomas Blug und Thomas Weilbier. Im Getümmel der Veranstaltung blieb jedoch nur wenig Zeit für längere Gespräche. Also entschied er sich, für eine zweite Reise nach Deutschland zum Guitar Summit in Mannheim. Dort trafen wir uns dann.

Dr.-Nitro-Stand auf dem Guitar Summit in Mannheim

Er hatte einen eigenen kleinen Stand, an dem er seine Pickups ausstellte. Und dafür muss er jedes Mal ungeheure Strapazen auf sich nehmen. Es ist schwer, ein Visum zu bekommen, und der weite Weg meist über Litauen und Polen ist mit langen Wartezeiten an den Grenzübergängen verbunden.

Er hatte auch eine Les Paul dabei, die sofort meine Aufmerksamkeit erregte. Sie trug übrigens den Namen „Stephanie“. Sie war so gut gemacht, dass man sie, abgesehen vom Kopfplatten-Logo, ohne weiteres für eine Burst halten könnte. „Ich brauche solche Instrumente, damit meine Pickups im entsprechenden Holz klingen können.“ erklärte er mir. Daher baut er von Zeit zu Zeit eines dieser Kunstwerke, um sich selbst zu prüfen, wie nah seine Konstrukte am Original sein können.

Er hatte auch weitere und neue Pickups im Gepäck, von denen er mir einige Proben zum Test mitgab. Und dieses Mal hat er voll ins Schwarze getroffen. Ich bekam ein 59er Set, das seinem Namen wirklich alle Ehre macht, sowie ein 61er Set, das diesen etwas heißeren Clapton-Fillmore-West-Ton hat wie man ihn auf den beiden ‚Cream‘- Live-Alben hören kann. Fantastisch!

Dovnar übergibt dem Autor auf dem Guitar Summit seine „Stephanie“.

Außerdem lieh ich mir seine „Stephanie“-Les-Paul, die ich zuhause unbedingt hören wollte. Und das war nochmals eine Erfahrung, die nahtlos an die Erlebnisse mit den 59er Les Pauls, die ich in diesem Frühjahr längere Zeit hier hatte, anknüpfte. In meiner Erinnerung klang die Schönheit aus Minsk ebenso gut wie ihre Vorbilder.

Letzte Woche trafen wir uns erneut bei Guitarpoint in Frankfurt, weil dort zurzeit einige der alten Schätze zum Verkauf stehen, darunter auch eine exzellente 59er. Wir durften uns in einen Testraum zurückziehen und stundenlang testen. Nochmals vielen Dank an dieser Stelle an Simon Gauf und das ganze Team für die herzliche Einladung. Der Tag wurde zum Klangfest, denn auch hier konnte Dovnars „Stephanie“ in voller Güte unter Beweis stellen, dass der Mann aus Minsk auf dem richtigen Weg ist. Seine Gitarre und seine Pickups konnten sich beinahe nahtlos in die klangliche Güte der alten Instrumente einreihen. Seiner Meinung nach ist das vor allem der Güte des verwendeten Holzes geschuldet. Alexey Dovnar verwendet ausschließlich Honduras Mahagoni aus uralten, natürlich gewachsenen Baumbeständen, behandelt das Holz trotz jahrzehntelanger Lagerung nochmals mit Wärme und selektiert dann Hälse passend zum Body, in dem er Schwingungsmuster aufzeichnet. Und hier wird der Künstler wirklich zum Wissenschaftler.

„Stephanie“, eine 1959er-Les-Paul-Replik, Made by Dr. Nitro

Dabei helfen ihm zwei angesehene weißrussische Instrumentenbauer namens Kirill Zagrebelny und Valery Vashchenko, die sicherstellen sollen, dass das Instrument am Ende auch in diesem Ebenmaß klingt. Und genau das war bei unseren Hörproben der Fall. Alexey wird hoffentlich weitermachen und noch oft nach Deutschland zurückkehren. Und wir träumten zusammen davon, dass das irgendwann auch wieder ganz einfach sein wird. Für mich war das ein unglaublich einschneidendes Erlebnis, weil diese Kunstfertigkeit ausgerechnet von einem Mann kommt, der zumindest momentan nicht weiter entfernt von den amerikanischen Gitarrenbau-Traditionen entfernt sein könnte. Peter Weihe sagte mir mal vor Jahren auf meine Frage, warum neue Les Pauls nicht mehr genau wie die alten klingen: „Das ist ganz einfach! Die machen die nicht mehr wie früher.“ Bei Alexey Dovnar alias Dr. Nitro bin ich da nun nicht mehr so sicher. Dieser Mann versteht offenbar ganz genau, was es dazu braucht.

Zum Ende diesen Jahres habe ich mir vorgenommen, die in dieser kleinen Reihe erwähnten Instrumente mit ein paar Videos festzuhalten, sodass meine Fundstücke auch hör- und sichtbar gemacht werden können.


(erschienen in Gitarre & Bass 12/2023)


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