
Musikalische Revolutionen müssen nicht immer mit lautem Getöse und rebellischer Attitüde daherkommen, sondern erscheinen mitunter auch in Gestalt eines freundlichen älteren Herrn. Lester William Polsfuss, geboren. 2015 und besser bekannt als Les Paul, sah schon mit 30 ordentlicher aus als aktuelle Großväter, hatte aber musikalische und technische Visionen die bis heute die Musikwelt prägen. Les’ musikalische Karriere begann mit 8 Jahren auf der Mundharmonika. Mit 13 spielte er schon semiprofessionelle Country-Gigs und verließ mit 17 die High School, um sich ganz der Musik zu widmen. Unter dem Namen Rhubarb Red spielte und veröffentlichte er Country-Songs, bevor er sich in den 1940ern dem Jazz zuwandte. Stark beeinflusst vom Gipsy-Jazz-Genie Django Reinhardt rief er das Les Paul Trio ins Leben und kombinierte die Standards des American Songbook mit rasanten zweistimmigen Läufen von Piano und Gitarre und einem humorvollen Hillbilly-Flair, das Jazz-Puristen die Nackenhaare aufstellte.
Parallel zum Musikmachen entwickelte und erfand der auch als „Wizard of Waukesha“ bekannte junge Mann diverse Gerätschaften, die heute ganz selbstverständlich das Gitarristenleben bereichern. Neben der Solidbody-Gitarre prägte Herr Polsfuss typische Gitarreneffekte wie Delay, Phasing und Flanging. Die Inspiration dafür kam nicht aus Presets und katalogdicken Gebrauchsanweisungen, sondern aus Hörerfahrungen und seinem Kopf. Dem Kopf des Menschen, Musikers und Technikers. Während des Krieges hörte Les Paul den Sender Tokyo Rose, der aus Japan sendete. Auf dem Übertragungsweg nach Kalifornien, wo Paul mittlerweile lebte, entstanden Phasing- Effekte, die dem jungen Gitarristen gefielen und ihn inspirierten, diesen Klang in seinem Gitarren-Sound anzuwenden. Da es keine Effektpedale gab, die diesen Sound lieferten, experimentierte der erfinderische Gitarrist mit Bandmaschinen, bis er den Klang aus seinem Kopf reproduzieren konnte. Gleiches galt für Delay- und Halleffekte, die Les Paul im Radio hörte und dann mithilfe von Aufnahmen in verschiedenen Räumen seines Apartments nachempfand – vom schalltoten Schlafzimmer bis zum halligen Bad. Zur Vollendung kamen all seine Visionen ab 1949 im Duo mit seiner damaligen Ehefrau Mary Ford.

Les Paul hatte mit Multitracking experimentiert und durch Hinzufügen eines weiteren Tonkopfes endlich die Möglichkeit mit sich selbst im Duo spielen – was er ausgiebig tat. Die lustigen Clips kann man heute bei YouTube bewundern. Neben coolen Sounds und wunderschönen Schmalzmelodien, kann man sich auch vom Humor und der Spielfreude des musizierenden Ehepaares anstecken lassen. Les Pauls Experimente kulminierten in einem speziell für ihn angefertigten 8-Spur Recorder und dem Les Paulverizer, einem Vorläufer heutiger Looper, mit dem er live die Sounds der Aufnahmen reproduzieren konnte. Genauso mutig und visionär wie er technische Ideen umsetzte, stellte sich Les Paul auch anderen Widrigkeiten des Lebens. 1948 brach er sich bei einem Verkehrsunfall den rechten Arm, ließ ihn aber im 90 Grad Winkel eingipsen, um die richtige Spielposition einnehmen zu können. Später plagten ihn Herzprobleme und Arthritis, was ihn aber nicht davon abhielt, bis ins hohe Alter jeden Montag im Iridium Jazz Club in New York auf der Bühne zu stehen. Manche Finger konnte Les Paul zwar nicht mehr biegen, aber wenn sein Idol Django Reinhardt mit zwei Fingern spielen konnte, konnte Les das auch … und setzte seine melodischen Ideen eben mit anderen Fingersätzen und Spieltechniken um.
Bei allem Erfolg blieb der Gitarrist immer Gentleman und ein Showman der alten Schule. Andere verdienten mit seinen Erfindungen Millionen oder wurden mit seinem Gitarrenmodell Mega-Stars, Les Paul blieb freundlich, witzig und nahm sich selbst nicht zu ernst. In einem Interview mit dem Magazin Performing Musician kurz vor seinem Tod sagte er: „Alles, was ich tat, tat ich um Resultate zu erzielen. Du wirst nicht viele Patente finden, denn ich habe es nicht mit dem Gedanken gemacht, Geld damit zu verdienen. Als erstes kommt in meinen Gedanken Musik!“ Ein sympathischer Ansatz in der heutigen Zeit, in der selbst junge Independent-Musiker vor der ersten Tour oder Platte schon von Marketing-Plänen, Zielpublikum und anderen Idiomen aus dem BWL-Sprech reden. Les Paul ist deswegen ein überaus inspirierendes Beispiel dafür, dass man sich nicht von technischen Beschränkungen, vorherrschenden Meinungen oder dem Zeitgeist hindern lassen sollte, seine eigenen Visonen umzusetzen. Am 9. Juni wäre der Gitarrist 100 Jahre alt geworden. Happy Birthday Les Paul!